02/05/2024

Architekt Wilhelm Scherübl Jr. veröffentlicht in regelmäßigen Abständen architektonische wie gesellschaftliche Utopien, die Zitate aus der aktuellen Medienlandschaft zum Ausgangspunkt haben. Text und Visualisierungen werden von Scherübl unter Verwendung (Co-Creation) von KI entwickelt.

02/05/2024
©: Wilhelm Scherübl Jr.

Langsam nähern wir uns der nächsten kleinen Stadt. Im Radio läuft Musik, während der BPM-Zähler beharrlich 99 anzeigt – alles in Übereinstimmung mit den staatlichen Vorschriften. Aus der Ferne erscheint die Stadt im Tal wie ein rosafarbener Fleck, der beim Näherkommen zu einem Sammelsurium aus Dächern und weißen Fassaden wird. Wir gleiten behutsam in die Stadt, denn nicht nur die Musikgeschwindigkeit, sondern auch das Tempo ist reguliert, Verstöße werden streng geahndet. Während wir die Straße entlang fahren, zieht immer wieder dasselbe Haus an uns vorbei, ein Modell, das sich wie ein dupliziertes Muster durch das ganze Land erstreckt. Gleiche Farben, gleiche Formen, gleiche Fenster, gleiche Vorhänge, gleiche Fußmatten – nur die Hausnummern und die Namen an den Türschildern variieren. In dieser Gleichheit gestaltet sich die Suche nach dem einen Haus nicht ganz einfach.

Manche mögen sich fragen, was wir eigentlich suchen. Wir sind auf dem Weg, die Person zu besuchen, die einst all diese Vorschriften erlassen hat. Wir wollen verstehen, was jemanden dazu bewegt, ein ganzes System über ein Land zu stülpen. Angefangen hat es mit der Regulierung der Musikgeschwindigkeit. Gender- und Abtreibungsverbote existierten schon immer, wurden jedoch weiter verstärkt. Ausgehverbote folgten ebenso wie Kleidungsvorschriften und strengere Sittenregeln. Immer mehr Aspekte des Lebens wurden vereinheitlicht und vorgeschrieben, alles wurde eingeschränkt. Das erklärte Ziel war die Schaffung einer starken nationalen Identität, doch eigentlich ging es nur um Machterhalt und Unterdrückung. Menschen sollten sich nicht an modernen Werten wie Gleichberechtigung und Offenheit orientieren, sondern an scheinbaren Traditionen, die die Nation seit Jahrhunderten prägen. Die Vorstellung war, durch Gleichheit ein konservatives und starkes Image nach außen zu tragen, getragen von Werten wie Maskulinität, Familie, Stärke, Religion, Brüderlichkeit und Heteronormativität.

Nun stehen wir vor der Tür jener Person, die maßgeblich an der Festlegung dieser Vorschriften beteiligt war. Zuerst klopfen wir leicht im Takt mit dem Fuß und werfen einen nervösen Blick auf den BPM-Zähler, der sich bei 105 einpendelt. Dann klopfen wir im selben Takt wie unser Fuß mit der Hand gegen die Tür. Wir warten eine Weile bis wir gleichmäßige Schritte hinter der Tür hören. Als die Tür geöffnet wird, erkennen wir, dass die Person im Einklang mit der Nationalhymne lebt – 93 BPM. Alles scheint einem stetigen Metronom zu folgen, einer Bestimmung, die diese Person von oben herab zu benötigen scheint. Im Laufe unseres Gesprächs wird uns klar, dass diese Person eine komplette Selbstaufgabe propagiert, ein Leben nach einem Kodexbuch, ohne eigenes Denken, einfach nur Existieren nach Regeln. Es wird deutlich, dass hinter den starren Regeln und Normen ein tieferes Verlangen nach Kontrolle und Macht steckt, welches die Individualität und Freiheit der Menschen untergräbt. Jeder selbst könnte sich einen Takt und entsprechende Regeln für sein Leben suchen – gefährlich wird es dann, wenn eine Person im Staat den Rhythmus vorgibt.

 

 

_____Informationen

Textlektorat und -variationen unter Verwendung von ChatGPT
Image unter Verwendung von midjourney

 

____Zitat

"Chechnya to ban music not between 80 and 116 BPM"

 

____Quellen

Wie absurd ist eigentlich Tschetschenien?

An Schulen, Unis und Behörden gilt ab sofort das Genderverbot

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Strenge Kleidervorschriften - Iran droht Frauen mit härteren Strafen

Vatikan zum EU-Abtreibungs-Votum: Frauen und „Kultur des Wir" stärken

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