30/04/2024

Durch den Niedergang der deutschen Warenhauskette Karstadt-Kaufhof Galeria und die schrittweise Schließung von Filialen entsteht für knapp einhundert deutsche Städte eine paradoxe Situation: Das Sterben jener Kaufhäuser, die einst als Totengräber der Innenstadt kritisiert worden waren, wird nun als Verlust an Urbanität beklagt. Der Abbau tausender Arbeitsplätze und der abrupte Leerstand der großen Gebäude ist eine massive Bedrohung für zunehmend verödende Innenstädte.

30/04/2024

Leerstand Kaufhaus LAMARR, Mariahilfer Straße Wien, April 2024

©: Redaktion GAT

Jeder Einkauf ist ein Tausch. Durch Tausch entsteht Gesellschaft, so Max Weber, aber eine soziale Beziehung zwischen Käufern und Verkäufern kommt nur zustande, wenn zur Regelung des Geschäfts Vereinbarungen getroffen werden.
Insofern waren die im 19. Jahrhundert aufkommenden Kaufhäuser mit ihren festen Preisen und der Einführung des Umtauschrechts Treiber der Vergesellschaftung. Binnen weniger Jahrzehnte verbreitete sich die neue Handelstypologie in allen Großstädten der westlichen Welt. Über die Gründe, weshalb sich das Modell Kaufhaus in Österreich nie wirklich durchsetzen konnte, kann nur spekuliert werden. Es mag an der vergleichbar geringen Größe des Marktes gelegen haben, oder an der kleinteiligeren Struktur des Handels. In Deutschland entwickelte sich im Zuge des Wiederaufbaus der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Innenstädte ein regelrechter Kaufhaus-Rausch. Eine oder mehrere Filialen von Hertie, Kaufhof, Karstadt oder Horten gab es bald in jeder deutschen Großstadt, schließlich auch in Kommunen mittlerer Größe. Zusammengenommen betrieben allein Hertie und Kaufhof Mitte der 1990er Jahre Warenhäuser an über zweihundertfünfzig Standorten.

Die Kritik blieb nicht aus. Bereits während des Wirtschaftswunders standen sich Aufschwungseuphorie und Ablehnung gegenüber. Allerdings wurde zumeist nicht die Wirtschaftsform hinterfragt, die sich in den Kaufhäusern verdichtete, sondern lediglich die Form und das Volumen ihrer Gebäude. Dass Kaufhäuser die Größe eines ganzen Blocks der Innenstadt annahmen, wurde zur Regel. Diese hatten zwar zunächst noch Fassaden mit Fenstern, waren aber aufgrund ihrer Tiefe von Anfang an auf künstliche Beleuchtung und Belüftung angelegt. Dadurch wurden die Kaufhäuser zu künstlichen Innenwelten, die sich von ihrer städtischen Umgebung entkoppelten. Das Problem der mühelosen Erreichbarkeit der höherliegenden Geschosse war durch die Rolltreppe gelöst worden. Mit ihr entfielen die Wartezeiten und die Beengung der Aufzüge. Zudem vermittelte die Rolltreppe der Kundschaft beim Aufwärtsfahren die Warenwelt in einer kinematografischen Sequenz.

Mahnende Stimmen gegen solch eine großmaßstäbliche Kommerzialisierung verwiesen auf die Verarmung des öffentlichen Raums. Noch grundsätzlicher hatte die Philosophin Hannah Arendt schon 1958 vor der Warengesellschaft gewarnt, da diese den Gebrauch von Gütern und Dingen durch deren Verbrauch, den Konsum, ersetzen würde. Zehn Jahre später, noch vor ihrem Abgleiten in die Illegalität, schrieb Ulrike Meinhof: „Was es im Kapitalismus gibt, gibt es im Warenhaus. Was es im Warenhaus nicht gibt, gibt es im Kapitalismus nur schlecht, nur unzulänglich, unzureichend: Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Gesundheitswesen etc. pp.“ (1) Entsprechend wurde für sie das Kaufhaus zum Sinnbild einer Gesellschaftsordnung, welche die Menschen nur mehr durch Konsum versammelt. In radikaler Zuspitzung der Zurückweisung des kapitalistischen „Spektakels“, wie es die Situationistische Internationale genannt hatte, begann der deutsche Linksterrorismus im Jahr 1968 mit der Brandstiftung in zwei Frankfurter Kaufhäusern.

Die flächendeckende Ausbreitung der Konsumgesellschaft konnte sowohl die gemäßigte als auch die radikale Kritik nicht verhindern. Im Gegenteil. Ende der 1990er Jahre führten Liberalisierung und Globalisierung zu einer neuen Stufe der Abstraktion. Die Vermehrung von Kapital durch Finanztransaktionen und Immobiliengeschäfte unterwanderte traditionelle Wirtschaftszweige wie den Handel und die Produktion. Investoren hatten erkannt, dass Innenstadtimmobilien völlig unabhängig von ihrer Nutzung Wertsteigerungen erzielten, die sich mit anderen Geschäften kaum erreichen ließen. Konsequenterweise wurde die Funktion von Gebäuden zunehmend unwichtig. Nur so wird nachvollziehbar, wie die österreichische Signa-Gruppe, die keinerlei Erfahrung im Handelsgeschäft hatte, zum größten Kaufhauseigentümer Deutschlands werden konnte.

Die praktizierte Methode hatte mit dem eigentlichen Geschäftszweck nichts zu tun. Nach dem Erwerb von Kaufhof und Karstadt wurden deren Immobilien neu bewertet. Da die Bewertung auf der Grundlage der zu erzielenden Mieten erfolgt, wurden die Mieten drastisch angehoben. Zum einen konnten dem eigentlichen Betrieb der Kaufhäuser dadurch jeden Monat hohe Geldsummen entzogen, zum anderen konnten die Immobilien aufgrund ihres scheinbar gestiegenen Werts mit höheren Krediten belastet werden. Diese Entkoppelung des Geschäftszwecks eines Gebäudes von der maximalen Verwertung seines Lagevorteils ist beispielhaft für den profitgetriebenen Umgang mit städtischem Raum. Die dadurch entstehende Abhängigkeit vom Finanzmarkt und die Gleichgültigkeit dem eigentlichen Geschäft gegenüber besiegelten den Untergang der durch ein verändertes Kundenverhalten und die Digitalisierung bereits schwer angeschlagenen Kaufhäuser.

Im Zuge der Insolvenz wurden viele der Gebäude von städtischer Seite noch rasch unter Denkmalschutz gestellt, um ihren Abriss zu verhindern. Nun stehen sie leer. Letztendlich haben sie sich selbst verbraucht. Dagegen sollen oft Zwischennutzungen helfen, deren Wirkung allerdings meist in vorhersehbar kurzlebigen Aktivitäten verpufft. Erneut finden sich darin Rutschen, Co-Working Spaces, Urban-Gardening-Plantagen, innerstädtische Windräder und Bällebäder. Doch wäre es eher angebracht, den Niedergang des architektonischen Typus Kaufhaus zum Anlass zu nehmen, ganz grundsätzlich darüber nachzudenken, was Stadt ausmacht. Nicht mit welch scheinbar außergewöhnlichen Nutzungen man sie befüllen kann, sondern welcher Gebrauch ihres Bodens einer städtischen Gesellschaft jenseits von Konsum und Spektakel neuen Inhalt gibt.
 

______Quellen
(1) Konkret Nr. 14, 1968, https://socialhistoryportal.org/sites/default/files/raf/0019680400_2.pdf, abgerufen am 24.04.24

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