01/04/2020

Die Rösselmühle bildet mit dem Mühlgang, dem Rösselmühlpark, der Postgarage, dem GGZ – Geriatrischen Gesundheitszentrum Graz und dem Oeversseepark ein beeindruckendes städtebauliches Ensemble mit Potenzial für eine nachhaltige Stadtentwicklung in Graz-Gries. Ein Weckruf von Elisabeth Lechner

01/04/2020

Das Industriedenkmal Rösselmühle, Ansicht vom Oeverseepark

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Gebäudeensemble, Ansicht von der Oeverseegasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Mühle, Ansicht vom Oeverseepark

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Mühlgang und Mühle

©: Elisabeth Kabelis-Lechner
©: Elisabeth Kabelis-Lechner
©: Elisabeth Kabelis-Lechner

2009: Mühle noch im Betrieb

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Innenraum, 2009

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

2009: Blick zur 'Postgarage'

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Postgarage' am Rösselmühlpark

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Stadt Graz, Stadtplan

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Berlin – 'Living Levels' an der 'Berliner Mauer'. Foto aus der kommentierten Fotoserie, Teil 1, 2018 von Emil Gruber (s. Link)

©: Emil Gruber

Die Rösselmühle in der Elisabethinergasse 45 / Oeverseegasse 1 ist die älteste Grazer Mühle und eine der ältesten Mühlen Österreichs (sie wurde bereits 1370 urkundlich erwähnt). Die Mühlengebäude, der Mühlgang und der davor liegende Oeversseepark bilden im Bezirk Graz-Gries ein beeindruckendes städtebauliches Ensemble von unschätzbarem Wert und Potenzial für eine ganzheitliche und unverwechselbare Stadtentwicklung. Wie lange noch kann man von einer guten Zukunft für die Entwicklung der Rösselmühle träumen? 2014 wurde die Rösselmühle als letzte Grazer Mühle stillgelegt. Seither kümmert das Gebäudeensemble vor sich hin. Das Areal wird schlecht gewartet, es hat schon zweimal in einem Nebengebäude gebrannt, Fenster und Dächer sind teilweise beschädigt. Als Bewohnerin der Oeverseegasse bin ich seit der Stillegung der Mühle in Sorge darüber, dass dieses historische und städtebaulich bedeutsame Industriedenkmal einem Investorenwohnbau zum Opfer fallen könnte. Vor ein paar Monaten hat mich ein Werbemail der Firma Tonweber meine Sorgen noch verstärkt und ich habe beschlossen, etwas für den Erhalt des Industriedenkmals zu unternehmen und über geplante Vorhaben auf dem Areal zu recherchieren. Der Projektentwickler und Bauträger Tonweber plant einen Elisabeth-Tower in der Elisabethinergasse, 126 Wohnungen sollen entstehen. In dieser Gasse gibt es eigentlich nur zwei Grundstücke, die sich für ein derartiges Bauprojekt eignen würden. Das Grundstück der Leitner-Tankstelle nördlich der Rösselmühlgasse bzw. das Areal der Rösselmühle selbst. Da die Silos der Rösselmühle die Höhe von Hochhäusern haben, lag die Vermutung nahe, dass es sich um dieses Areal handeln könnte. Ich schickte eine Anfrage und ersuchte um Projektunterlagen, die Antwort von Tonweber auf meine Interessensbekundung lautetet, dass man derzeit noch keine Unterlagen verschicken könne, da man noch in der Projektentwicklung sei und es gibt auch keine Konkretisierung des Standorts. Ich forschte weiter. Schon 2014, kurz nach Schließung der Mühle, beauftragte der Eigentümer der Rösselmühle, das Wiener Architekturbüro KOKA mit der Projektentwicklung. Ziel war es, Rahmenbedingen für ein Gutachterverfahren bzw. für die Abstimmung mit der Stadtplanung zu erarbeiten. (Grundlagenarbeit, Variantenuntersuchung). Architekt Kogler (KOKA) schlug danach ein Qualifizierungsverfahren mit fünf Architekturbüros vor und hat danach ein renommiertes Grazer Architekturbüro für die Weiterbearbeitung empfohlen. Laut Kogler hat es keine Zielvereinbarungen gegeben und ist auch kein Betreiberkonzept vorhanden. Seit mehr als zwei Jahren liege das Projekt nun auf Eis. Die komplexen Eigentümerstrukturen und die unterschiedlichen Interessen der Eigentümergemeinschaft seien laut Architekt Kogler maßgeblich dafür verantwortlich, dass es noch zu keinem konkreten Nachnutzungskonzept gekommen sei und so schnell auch nicht kommen werde. Es gibt also aktuell noch kein fertiges Nutzungskonzept. Das Projekt Elisabeth-Tower der Firma Tonweber kennt niemand der von mir Befragten, auch die Stadtplanung weiß nichts darüber. Eine telefonische Nachfrage bei Tonweber bringt keine Klarheit über den genauen Standort. Geschichte am Rande: als ich Tonweber damit konfrontiere, dass das „Rendering“ des Elisabeth-Towers auf seiner Homepage in Wahrheit ein Foto eines in Berlin vor einigen Jahren errichteten Luxus-Wohnhauses ist, wird Tonweber unwirsch und beendet abrupt das Telefonat. Auf diese unglaublich freche Sache der Firma Tonweber bin ich zufällig beim Lesen von GAT gestoßen. Dort war auf der Startseite ein Foto von Emil Gruber zu sehen. (siehe Link > Berlin ... kommentierte Fotoserie) Auf diesem Foto war ein Hochhaus abgebildet, das dem Tonweber-Rendering total ähnlich sah. Nach genauer Überprüfung und Internetrecherche war klar: Tonweber wirbt mit einem fremden Bauwerk! Bei dem Berliner Bauwerk handelt es sich um das umstrittene, 2015 fertig gestellte Luxus-Wohnhochhaus Living Levels am Spreeufer. Für dieses Projekt wurden einige Meter des Mahnmals East Side Gallery abgebrochen. (Das Denkmal East Side Gallery in Berlin-Friedrichshain ist eine dauerhafte Open-Air-Galerie auf dem längsten noch erhaltenen Teilstück der Berliner Mauer in der Mühlenstraße zwischen dem Berliner Ostbahnhof und der Oberbaumbrücke entlang der Spree. (Quelle Wikipedia) Resultat meiner Recherchen: es gibt „angeblich“ noch keine konkreten Planungen. So besteht ein Hoffnungsschimmer, dass die Rösselmühle oder zumindest Teile davon als bedeutendes Industriedenkmal am rechten Mühlgang erhalten werden könnten und nicht einem Anlegerwohnbau zum Opfer fallen. Das Erkennen der Bedeutung der Geschichte als Wesensmerkmal einer Stadt und die damit einhergehende Wertschätzung historischer Bausubstanz könnte zu einer nachhaltigen und am Gemeinwohl orientierten Stadtentwicklung des vom qualitätsbefreiten Investorenbauboom heimgesuchten Bezirkes Gries führen. Der Bezirk Gries schneidet bei den Befragungen zur Lebensqualität 2013 und 2018 sehr schlecht ab, die Feinstaubwerte sind die höchsten der Stadt, das Defizit an öffentlichen Freiflächen, Parks und Sportflächen ist enorm. Trotz anhaltendem Bauboom und zunehmendem Bevölkerungswachstum werden keine neuen Freiflächen und öffentlichen Räume geschaffen, es findet keine positive Stadtentwicklung statt. In den Immobilienverkaufsbroschüren wird jedoch vom aufstrebenden, trendigen Bezirk Gries gesprochen. Doch im Gegensatz zu Lend, wo sich zwischen dem ehemaligen Teatro und heutigem ppc und dem Kunsthaus eine bunte Kreativ- und Kulturszene herausgebildet hat, mangelt es in Gries daran noch sehr. Im Gegenteil: es wurden in Graz-Gries in den letzten Jahren bereits zwei Lokale der „Freien Szene“ geschlossen, das Niesenberger in der Niesenbergergasse und die Papierfabrik in der Ungergasse. Beide Kultureinrichtungen mussten ersatzlos Immobilienprojekten weichen. 
Auch der Weiterbestand der (denkmalgeschützten) Veranstaltungshalle Postgarage ist durch die Verwertungspläne des neuen Eigentümers (Pongratz Bau) für vornehmlich dichten Wohnbau gefährdet. Was sind die Vorgaben und Zielsetzungen der Stadtplanung für das Gebiet Rösselmühle – Postgarage? 
Die Grundstücke waren in der ersten Auflage des neuen Flächenwidmungsplanes 4.0 von Gewerbegebiet auf Kerngebiet abgeändert worden. In der Zweitauflage des Flächenwidmungsplans kehrte die Stadtplanung jedoch wieder zur Widmung Gewebegebiet mit max. Dichte 2,5 zurück, wohl auch um Druck gegenüber den Eigentümern bzw. Investoren aufbauen zu können. Für eine andere Nutzung als Gewerbe muss der Flächenwidmungsplan geändert werden und es besteht Bebauungsplanpflicht mit BürgerInnenbeteiligung. Ein wichtiges Ziel der Stadt Graz ist es, den Oeverseepark von den Eigentümern der Rösselmühle käuflich erwerben zu können. (Dieser Park mit einer Fläche von ca. 20.100 m2 wird seit seiner Entstehung im Jahre 1997 im Rahmen des EU- Projekts Urban Graz von der Stadt Graz gepachtet.) Die denkmalgeschützte Postgarage mit dem vorgelagerten Rösselmühlpark, die historische Rösselmühle mit dem im Süden anschließenden Oeverseepark, der vorbei- bzw. durchfließende Mühlgang und das Areal der GGZ (Geriatrisches Gesundheitszentrum Graz) bilden ein einzigartiges städtebauliches Ensemble im Zentrum von Graz-Gries, das auf keinen Fall zerstört werden darf. Für eine gelingende Stadtentwicklung in Gries braucht es mehr als verdichtete Wohnbauten, es braucht Funktionsvielfalt, Identifikation über historisch bedeutsame Gebäude und Strukturen, Räume für die Kultur-und Kreativszene, Möglichkeiten für soziokulturellen Austausch und Begegnung, Beiträge zur sozialen Kohäsion und Angebote für benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Am Areal der Rösselmühle und der Postgarage könnte unter Einbeziehung der historischen Gebäude ein Kreativ-und Kulturzentrum für Gries entstehen. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität im Bezirk. Zukunftsforscher sagen aktuell, es wird nichts sein wie früher. Es gibt Chancen auf positive Veränderungen, vielleicht auch für innovative Immobilienentwicklungen in Graz-Gries.

Mark Hellgoth

Danke.
Sehr schön geschrieben.
Was ist denn da nun geplant, bzw was soll nun mit diesem Stadtkulturgut werden?
Gibt es da mittlerweile ein Nutzungskonzept oder einen Plan für die nahe Zukunft?

Do. 01/12/2022 22:44 Permalink
Markus Bogensberger

Liebe Elisabeth,
vielen Dank für diese Recherche. Wolfgang Reinisch und ich haben das kleine Grundstück (Club der Nichtschwimmer im Jahr 2003) direkt zwischen Mühlgang und Postgarage seit vielen Jahren gemietet. Daher kenne ich das Gebiet auch aus einem etwas anderen Blickwinkel.
http://peanutz.at/projekte/zwischenraum/club-der-nichtschwimmer/
Zu dem Foto kann man übrigens recht flott herausfinden, dass es sich um ein kostenfrei verwendbares Stock Foto handelt das ausgesprochen häufig von Immobilienunternehmen verwendet wird:
https://www.pexels.com/de-de/foto/gebaude-architektur-blauer-himmel-balk...
Das Areal zwischen Oeversee- und Rösselmühlpark als zusammenhängendes und sehr sensibles Entwicklungsgebiet zu betrachten wäre tatsächlich sehr wichtig.

Fr. 10/04/2020 9:11 Permalink
Elisabeth Kabelis-Lechner

Antwort auf von Markus Bogensberger

lieber Markus,
danke für deinen Kommentar. Deine Meinung ist mir sehr wichtig, da du ja beruflich mit Baukultur befasst bist. Vielleicht kannst du dich ja aktiv unterstützend einbringen. Zu allererst müssen wir die Politik und die Eigentümer ins Boot holen.

Mo. 13/04/2020 11:02 Permalink
Laukhardt

Für die Geschichte von Handel, Gewerbe und Industrie, wie sie sich vielerorts im Grazer Stadtbild zeigt oder besser, gezeigt hat, fehlt leider das Verständnis von Stadtregierung und Stadtplanung. Und dabei sind diese Zeichen für die Identifikation der Bewohner mit ihrem Umfeld von größter Wichtigkeit: wieso heißt es "Rösselmühlgasse"? Aber wenn schon die akademische Ausbildung auf vertiefende Baugeschichte zu verzichten glaubt, was soll man dann von Planern verlangen? Sie orientieren sich in erster Linie nach den Vorstellungen der Immobilienbranche, es entstehen Bebauungspläne, weil aktuelle Projekte das verlangen. Eigene, unabhängig von Investorenwünschen erarbeitete Entwicklungskonzepten fehlen völlig. Auch wenn es 5 vor 12 ist - wie hier.
Das Areal - und die nähere Umgebung - der ältesten Grazer Mühle wäre ein ideales Beispiel dafür, wie Elisabeth Lechner deutlich gemacht hat. Hier geht es um die älteste Industriegeschichte von Graz. Das Luftbild zeigt z. B., dass das L-förmige, niedrige Gebäude am Mühlgang in seinem Kern schon 1657 bestanden hat (ich verweise auf den ältesten Stadtplan von Martin Stier). Damit müsste die künftige Gestaltung des Baukomplexes auch denkmalschützerische Belange einbeziehen. In Zusammenhang mit der inzwischen dankenswerterweise unter Schutz gestellten „Postgarage“ (ehem. Reithalle) könnte hier eine einzigartige städtebauliche Kernzelle mit kulturellem Fokus entstehen.

Do. 09/04/2020 7:10 Permalink

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