01/11/2010
01/11/2010

Buchcover

Gertrude Maria Grossegger, Antje Senarclens de Grancy, Petra Sterry
"Bruchstücke: Jüdische Friedhöfe in der Steiermark"
Graz: Leykam 2010, 130 S., Euro 24,90

Der christliche Totengedenktag regt dazu an, den Blick auf das tragische Schicksal der mit der europäischen Kultur eng verbundenen jüdischen Religion zu richten. Vieles davon ist nicht mehr sichtbar: die materiellen Spuren jüdischen Lebens in der Steiermark sind dünn gesät, denn der Vertreibung und Vernichtung während der NS-Zeit ist das meiste zum Opfer gefallen. Nur wenige Menschen sind nach dem Krieg in ihre alte Heimat zurückgekehrt und haben an alte Traditionen angeknüpft. Das Buch „Bruchstücke“ widmet sich den Überresten jüdischer Friedhöfe, die sich, mit weitgehender Ausnahme von Graz-Wetzelsdorf und Bad Aussee, in einem traurigen Zustand des Verfalls befinden, denn auf die Verwüstung durch die Nazis folgte die stillschweigende Vernachlässigung der folgenden Jahrzehnte. Bis heute kommt der österreichische Staat den Verpflichtungen zum Erhalt dieser Stätten nur zögerlich nach.

Mit dem vorliegenden Buch, das auf Anregung des Kulturressorts des Landes Steiermark entstanden ist, wollen seine Autorinnen auf diese verwundeten Orte des Gedächtnisses aufmerksam machen, sind sich jedoch wohl bewusst, dass „historische Erinnerung immer nur bruchstückhaft sein kann“. Die Grazer Kunsthistorikerin Antje Senarclens de Grancy beschreibt die Geschichte der jüdischen Gemeinde und ihrer „Häuser der Ewigkeit“, wie die Friedhöfe im Judentum genannt werden, des späten Mittelalters sowie des 19./20. Jahrhunderts. Daneben ist jeder der Stätten eine ausführliche Beschreibung gewidmet, die durch Lagepläne ergänzt sind und so den/die LeserIn zur eigenen Spurensuche vor Ort einladen. Neben Graz, das schon seit 1864 wieder einen jüdischen Friedhof aufwies, beherbergten vor allem die obersteirischen Städte Leoben, Knittelfeld und Judenburg jüdische Gemeinden. Weitere kleine jüdische Friedhöfe entstanden um 1900 an den Kurorten Bad Gleichenberg und Bad Aussee. Wenig bekannt ist der Friedhof des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers in Mühldorf bei Feldbach, wo einige Grabsteine jüdischer Soldaten erhalten sind. Ein Mahnmal gegen die Verbrechen des NS-Regimes ist die Gedenkstätte beim Massengrab der 1945 ermordeten Juden am Leopoldsteiner See.

Eng verwoben mit den (kunst-)historischen Beschreibungen sind die künstlerischen Elemente des liebevoll gestalteten Bandes: Zum einen die atmosphärisch dichten und den verfallenen Glanz melancholisch dokumentierenden Fotos von Petra Sterry sowie zum anderen die schlichten Gedichtzeilen von Gertrude Maria Grossegger, die von sparsamen, aber eindringlichen Schwarzweiß-Grafiken von Sterry unterstrichen werden.

Verfasser/in:
Josef Schiffer, Buchbesprechung
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16. + 17.11.2023
 
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