Die Arbeit ist in erster Linie vom Schaffen und den Erkenntnissen Hermann Knoflachers, Professor emeritus (Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik) der TU-Wien, geprägt. Er ist insbesonders für seine Kritik am Automobil und seinen Folgen für die Umwelt des Menschen bekannt. Das Auto ist für Knoflacher „wie ein Virus“:
„Wir ziehen uns mehr oder weniger freiwillig in abgedichtete Häuser mit Lärmschutzfenstern zurück, um den Außenraum dem Krach, dem Staub und den Abgasen der Autos zu überlassen.“ (Hermann Knoflacher im ZEIT-Interview Das Auto macht uns total verrückt, 13. September 2007).
Als zweite wichtige Größe von Dispersion – Struktur der Dromokratie kann Paul Virilio genannt werden. Seine Arbeiten als Geschwindigkeitstheoretiker machten ihn weltweit bekannt. Er entwickelte die Dromologie, die Lehre von Geschwindigkeit, und forderte parallel zur Arbeit der Epistemologie den epistemotechnischen Dialog. Ähnlich der Medientheorie soll das Ziel in einer erkenntnistheoretischen Arbeit liegen, die hier speziell den Einfluss der technischen Artefakte auf den Menschen und seine Strukturen untersucht.
Inspiriert von Virilio ist dementsprechend der Titel des Diploms – Dromokratie – als Herrschaft der Geschwindigkeit gewählt, die im politischen Diskurs der Gegenwart, obwohl strukturprägende Kraft unserer Zeit, eigentlich kaum zu finden ist.
Mit diesem Titel setzt sich die Arbeit nun eine Analyse der momentanen Raummuster unter Berücksichtigung des vorherrschenden Geschwindigkeitssystems zum Ziel. An diesem Punkt findet die Vereinigung der Arbeiten Paul Virilios und Hermann Knoflachers statt. Ist es in erster Linie Virilio der die Theorie der Geschwindigkeit zugrunde legt, so baut Knoflacher mit der Kritik am technischen Artefakt „Automobil“ als Geschwindigkeitsproduzent bzw. als Manifestation der Geschwindigkeit im physischen Raum auf.
War in früheren Strukturen die metabolische Geschwindigkeit des Pferdes konstituierende Kraft von Macht, so wurden im vergangenen 20. Jhdt alle metabolischen Geschwindigkeitsvektoren zugunsten technologischer Vektoren ausgeschaltet. Damit einher ging eine wesentliche Beschleunigung der Bewegung im geographischen Raum. Entstanden die ursprünglichen Raummuster der Kontraktion auf Basis der menschlichen Geschwindigkeit des Fußgängers, so war im vergangenen Jahrhundert die prägende Kraft, die zur Dispersion führte, das Automobil. Allein seine, nach immensen Raum dürstende, Infrastruktur musste das Bild der Stadt nachhaltig verändern. Dennoch bleibt bei dieser Betrachtung die wahre Kraft der Dispersion für uns vorerst im Verborgenen. Es ist die Geschwindigkeit selbst, die den geographischen Raum „vernichtet“.
Wie Thomas Sieverts schon für die „Zwischenstadt“ bemerkte, ist die relevante Größe räumlicher Verhältnisse nicht mehr die metrische Distanz, sondern vielmehr der zwischen den Orten liegende „Zeit-Raum“. Es handelt sich also um eine Perversion – war es früher der Raum, der die Zeit dominierte, ist es nun die Zeit, die den Raum bestimmt. Raum verhält sich somit relativ zur Geschwindigkeit. Dieses Phänomen wird in der Arbeit als „Raumwiderstand“ bezeichnet. Hohe Raumwiderstände liegen langsamen Geschwindigkeiten zugrunde und führen zu hoher räumlicher Dichte, zu kleinstrukturierter, lokal organisierter Struktur, also zur Kontraktion von Raumnutzungsmuster, Dispersion, Zersiedelung ist die Inversion aufgrund hoher Geschwindigkeit.
Dadurch kann man erkennen, dass sich das Zeitalter der Geographie dem Ende zuneigt. Wir haben das Zeitalter der Chronographie betreten. Der chronographische Raum verdrängt jenen der Geographie. Damit zeigt diese Diplomarbeit auf, dass Dispersion und Zersiedlung nicht ein Phänomen fehlender Dichte sind, sondern Raummuster, die den chronographischen Raum manifestieren. War früher die Stadt als Beschleunigungsmaschine notwendig, so sind es heute die technischen Artefakte, die Beschleunigung ermöglichen. Um Raumnutzungsmuster bzw. räumliche Strukturen besser verstehen zu können schlägt diese Arbeit deshalb vor, sie nicht unter dem Phänomen der Dichte zu betrachten, sondern als ein Phänomen der Geschwindigkeit, dessen Resultat die Dichte ist. Somit könnte man die Arbeit auf den Satz reduzieren: „Dichte produziert Geschwindigkeit, Geschwindigkeit produziert Dichte“.
Den Rahmen der gesamten Arbeit bildet die Frage, ob die momentan vorherrschenden Raumnutzungsmuster, die den Geschwindigkeitsvektoren zugrundeliegen, überhaupt noch eine nachhaltige Entwicklung auf den Ebenen der Ökologie, Ökonomie als auch der Soziologie garantieren können? Um ein Verständnis der momentanen räumlichen Prozesse zu erlangen, gilt es, nicht nur geographische Dichten zu untersuchen, wir müssen uns mit der Dichte der Chronographie beschäftigen. Wollen wir einen Weg hin zu nachhaltigeren Strukturen finden, so werden wir wohl kaum über den Dialog der Geschwindigkeit hinwegkommen, denn der Dialog der Dichte scheint eher ein Dialog der Geschwindigkeit zu sein.
Oliver Schörgi erhielt für seine Arbeit den
Wohnbaupreis im Rahmen des GAD Awards 2014.
Jurybegründung:
Das Projekt thematisiert Verkehr und Verkehrsflächen. Gut recherchiert – offen im Ergebnis. Für die Jury eines der interessantesten und zukunftsweisenden Projekte. Das Projekt folgt ebenfalls einer wissenschaftlichen Herleitung eines systemischen Ansatzes einer urbanistischen Intervention. Über die Frage des Verkehrs und seiner Wahrnehmung werden strukturelle raumplanerische Interventionen entwickelt und dann an einem konkreten Beispiel durchgedacht. Der Arbeit
fehlt jedoch der Mut zu einfachen Kommunikation des sich als kompliziert darstellenden Konzepts.