Das Buch "Egon Eiermann in Mittelbaden" von Ulrich Coenen beleuchtet umfassend das architektonische Werk des bedeutenden deutschen Architekten Egon Eiermann (1904–1970) und insbesondere seine Bauten in Mittelbaden. Es bietet nicht nur eine detaillierte Analyse verschiedener Gebäude, sondern auch eine tiefere Auseinandersetzung mit der Person Eiermanns und seines Einflusses auf die Nachkriegsarchitektur in Deutschland.
Zu Beginn des Buches beschreibt Ulrich Coenen Egon Eiermanns bedeutende Rolle als einen der einflussreichsten Architekten der deutschen Nachkriegszeit, bekannt für seine innovative Herangehensweise an Industrie- und Verwaltungsbauten. Coenen beleuchtet Eiermanns wesentlichen Beitrag zur Modernisierung der deutschen Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg.
Er beschreibt Eiermanns Philosophie, dass Architektur nicht nur funktional, sondern auch moralisch und kulturell bedeutsam sein sollte, was sich sowohl in seiner praktischen Arbeit als auch in seiner Lehre als Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe (heute Karlsruher Institut für Technologie) widerspiegelt. Architektur, so Eiermann, solle das Wohl der Gesellschaft fördern und nicht allein wirtschaftlichen oder funktionalen Zwecken dienen. Dies beinhaltete in der Nachkriegszeit die Verantwortung, Räume zu schaffen, die zu einem demokratischen und offenen gesellschaftlichen Leben beitragen.
Coenen widmet auch einen Abschnitt dem schwierigen Thema der NS-Zeit. Eiermann, der kein Mitglied der NSDAP war, arbeitete in dieser Zeit an industriellen Projekten und Wohnhäusern und ging dabei, wie viele seiner Zeitgenossen, moralische Kompromisse ein, um seine berufliche Karriere nicht zu gefährden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte Egon Eiermann eine zentrale Rolle bei der Neuausrichtung der deutschen Architektur. Während er in der NS-Zeit aufgrund der politischen Umstände vor allem im Bereich des privaten Wohnbaus und der Industriearchitektur tätig war, öffnete sich ihm nach dem Krieg ein weites Betätigungsfeld. Er prägte das Bild der deutschen Nachkriegsmoderne und trug durch seine Tätigkeit als Professor maßgeblich zur Ausbildung einer neuen Generation von Architekten bei. Seine Lehrtätigkeit in Karlsruhe wirkte weit über die Region hinaus und hinterließ Spuren in der Architektur in ganz Deutschland.
Coenen betont, dass die beiden Villen Eermanns in Baden-Baden zwar im Vergleich zu seinen nationalen und internationalen Projekten eine Sonderstellung einnehmen, aber dennoch wichtige Beispiele für seine architektonischen Prinzipien darstellen. Eiermann hat nach 1945 nur zwei Wohnhäuser geschaffen. Diese Projekte veranschaulichen seinen Anspruch, funktionale und ästhetische Architektur miteinander zu verbinden und durch den Einsatz neuer Materialien und Techniken wegweisende Lösungen zu schaffen.
Die Villa Hardenberg wurde zwischen 1958 und 1960 erbaut und stellt eine Symbiose aus modernem Stil und Funktionalität dar, indem er zeitgemäße, klare Gestaltung mit praktischer Raumnutzung vereinte. Er schuf einen schlichten, ästhetischen Bau, der zugleich auf die Bedürfnisse der Bewohner optimal abgestimmt war. Somit entwickelte Eiermann ein Konzept, das den Wohnraum maximierte, aber gleichzeitig die Form klar und schlicht hielt.
Die Villa Eiermann, die er für sich selbst und seine Familie entwarf, ist ein Meisterwerk der klaren Linien und offenen Raumkonzepte. Der Einfluss der japanischen Architektur auf seine Entwürfe wird ebenfalls im Buch behandelt, da Eiermann von der minimalistischen und funktionalen Ästhetik Japans inspiriert wurde.
Beide Villen markieren einen Höhepunkt in Eiermanns Schaffen, obwohl er sich nach dem Krieg vermehrt auf große Industrie- und Verwaltungsbauten konzentrierte. Diese Wohnhäuser spiegeln jedoch die Experimentierfreude und die Vielseitigkeit wider, die ihn auch in anderen Bereichen seiner Arbeit auszeichneten.
Ein weiterer wichtiger Abschnitt des Buches behandelt die beiden Gewerbebauten in Offenburg: das Verlagsgebäude für Burda Moden und das Stahlbau Müller Verwaltungsgebäude. Diese Bauten zeigen Eiermanns Fähigkeit, innovative Lösungen für funktionale Gebäude zu entwickeln. Das Burda Moden Gebäude, errichtet in den frühen 1950er Jahren, galt als bahnbrechend in seiner Kombination aus einfacher Ästhetik und fortschrittlicher Konstruktion. Die Fassade des Gebäudes ist ein Beispiel für eine tragende Konstruktion, die in der Architektur der Nachkriegszeit wegweisend war.
Das Stahlbau Müller Gebäude, das später entstand, setzte Eiermanns Idee der funktionalistischen und ästhetisch reduzierten Bauweise fort. Beide Projekte sind nicht nur Beispiele für Eiermanns architektonisches Können, sondern auch für die Bedeutung der Industriearchitektur in der Nachkriegszeit.
Das Buch greift auch die moralischen Fragen auf, mit denen sich Eiermann und andere Architekten nach dem Krieg auseinandersetzen mussten. Während des Dritten Reiches entwarf er, wie viele andere Architekten, Industriegebäude, die in der Kriegswirtschaft eingesetzt wurden. Coenen beschreibt Eiermann jedoch nicht als überzeugten Anhänger des Nationalsozialismus, sondern als Architekten, der – wie viele seiner Zeitgenossen – berufliche Kompromisse einging, um weiter arbeiten zu können.
Die Auseinandersetzung mit Egon Eiermanns Werk in "Egon Eiermann in Mittelbaden" von Ulrich Coenen ist nicht nur eine spannende Analyse eines der bedeutendsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts, sondern wirft auch wichtige Fragen zur Rolle von Architektur in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Kontexten auf. Coenens sorgfältige Betrachtung von Eiermanns Werken zeigt eindrucksvoll, wie sich Eiermann sowohl architektonisch als auch ethisch im Spannungsfeld zwischen Modernität und politischer Anpassung bewegte.
Ulrich Coenen: Egon Eiermann in Mittelbaden. Anmerkungen zu seinen Villen in Baden-Baden und seinen Gewerbebauten in Offenburg. Verlag Mainz (Aachen). 122 Seiten, ISBN: 978-3-95886-510-5. 18 Euro.