Damals als Sie als Schüler der Fachschule beschlossen haben, in Hallstatt zu leben, war es noch ein idyllischer Ort mit einem funktionierenden Salzbergwerk.
Hallstatt ist immer noch ein Bergbaustandort und produziert die größte Solemenge, allerdings natürlich mit einem Minimum an Personal, weil größtenteils automatisiert wurde.
Und welchen Anteil hat der Tourismus?
Nach wie vor ist Hallstatt von der Erwerbsstatistik her nicht in erster Linie touristisch. Hallstatt ist ein Mini-Ort mit 700 Einwohnern, davon sind etwa ein Drittel Pensionisten. 35 Prozent der Hallstätter sind definitiv nicht im Tourismus tätig. Wir haben eine große HTL mit 400 Schüler:innen und entsprechendem Lehrpersonal. Auf den Tourismus kommen in dieser Statistik nur 12 Prozent *).
Und diese 12 Prozent sorgen für diesen großen Wirbel und diese Unzufriedenheit bei jenen Bewohnern, die nicht Tourismus tätig sind? Das klingt ja gar nicht nach so viel. Ist der Tagestourismus das Hauptproblem, das den Ort so belastet?
Nun, wenn man sieht, dass mit jährlich 1.340.000 Touristen, die Hallstatt besuchen, auf jeden Einwohner 1.787 Touristen kommen, sieht es schon etwas anders aus. Nur im Vergleich, in Venedig sind es bei rund 251.000 Einwohnern, 35 Touristen pro Kopf.**) Und Tourismus ist die einzige Wirtschaftsbranche, die in Österreich noch wächst. Ich bin aber besorgt über die Tourismusstrategie der Bundesregierung, die der Tourismuswirtschaft einerseits Erlebnisraummanagement und andererseits Lebensraummanagement zuordnet. Es gibt Ansätze, worin der Tourismus die Agenden der Lokalpolitik übernimmt. Und das merken wir. Die Tourismusverbände haben viel Geld, werden zu immer größeren Einheiten fusioniert und sind tonangebend. Das bedeutet eine Verschiebung zur völligen Privatisierung des Lebensraums, vor allem eines Verwertungslebensraums. Hallstatt hat eigentlich seit Jahrtausenden eine Avantgarde-, eine Vorläuferfunktion erfüllt. Es war in der Bronzezeit das erste europäische Handelszentrum, hier haben einander die europäischen Handelswege gekreuzt. Hallstatt war im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, eine der ersten Single Factory Towns, in der ein einziger Industriebetrieb den gesamten Lebensvollzug im Ort bestimmte. Und dann im 16. Jahrhundert wurde Hallstatt zum Schauplatz einer ökologischen Katastrophe, als man den Wald zur Gänze abgeholzt hat, um möglichst viel Salz zu produzieren und die damals neu erworbenen Gebiete Böhmen und Ungarn zu versorgen.
Hat man das Holz für die Energie im Salzabbau benötigt?
Ja, zu Spitzenzeiten wurden pro Tag 300 Kubikmeter Holz verfeuert. Man bemerkte aber, wenn die Rohstoffbasis kaputtgeht, ist kein Geschäft mehr zu machen und hat den Schaden mit gezielten Verordnungen repariert. Hallstatt war bereits im 19. Jahrhundert prototypisch für die Deindustrialisierung und in den 1830er Jahren setzte der Tourismus ein. Der Wandel vom elitären höfischen Tourismus zur bürgerlichen Sommerfrische erfolgte. Zu Anfang des 20 Jahrhunderts spricht man von der Fremdenindustrie und das Salzkammergut mit Hallstatt hat diesen Wandel vom rauchenden Industrieort zur Tourismusdestination erlebt. Die ursprüngliche Kulturlandschaft der Salzindustrie wurde umgeformt zur Pseudonaturlandschaft des Tourismus. Und jetzt haben wir den Overtourism, Hallstatt, behaupte ich, ist hier die Spitze des Eisbergs. Zu viele Touristen drängen sich auf zu wenig Raum.
Was meinen Sie mit dieser Spitze des Eisbergs?
Wenn die Entwicklungen so weitergehen, eingedenk einer gewissen Skepsis gegenüber Prognosen, und es weiterhin wärmer wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass etwa BRICS-Staaten und andere Schwellenländer wirtschaftlich reüssieren und sich ein breiter Mittelstand Flugreisen leisten können wird. Man wird dann dorthin reisen, wo es kühler ist, wo es Wasser gibt und regnet. Genau das wird auf Österreich zukommen. Diese Entwicklung wird aus unserer Gesellschaft eine Dienstleistergesellschaft machen. Das ist für mich die Dystopie.
Aber sind wir da irgendwie nicht schon angekommen? Österreich wird doch bereits als intensiv betriebene Tourismusdestination gehandelt und beworben. Vom Lipizzaner über Sisi, Mozart oder Sound of Music. Spielt denn die Geschichte Hallstatts, dessen Kultur in diesem Tourismuszirkus überhaupt keine Rolle? Oder wirft man als Tagestourist nur eilig einen Blick auf den pittoresken Ort, weil er so idyllisch aussieht?
Ich widme mich dem Thema in meinem Podcast mit dem Titel „Welterbe Hallstatt“. Darin versuche ich dies zu vermitteln, aber er ist ein absolutes Nischenprogramm. Asiatische Touristen haben wenig Urlaub, sie wollen ganz Europa in wenigen Tagen sehen. Da geht sich eben nur ein Bus von Wien über Hallstatt nach Salzburg aus. Mehr ist da zeitlich nicht drin.
Dann liegt die Mitschuld an dieser Misere bei der Tourismusindustrie, die so aufgebaut wurde, dass uns die Auswüchse nun auf den Kopf fallen.
Als Laie denke ich, dass es sich hierbei um einen internationalen Trend handelt. Urlaube werden immer kürzer. Alles ist heute viel schneller getaktet. Und die Fremdenindustrie kreiert ganz bestimmte Produkte, mit denen sie ihre Gewinne maximiert. Hallstatt und Österreich an sich sind jene Bühne, die diese Industrie zum Nulltarif nützt, ganz so wie die chemische Industrie ihre Abwässer einst einfach in die Flüsse abgeführt hat.
In welcher Form profitieren Gemeinden von dieser Fremdenindustrie, wenn nur die Tourismuswirtschaft daran verdient? Und wie kann sich eine kleine Gemeinde dagegen wehren oder sinnvoll mit dieser Situation umgehen?
Ich sitze als Vertreter einer Bürgerliste im Gemeinderat. Die Gemeinde Hallstatt profitiert auf verschiedenen Ebenen: Die geringste Einnahmenquelle ist die sogenannte Kommunalsteuer, die in Hallstatt ansässige Betriebe abführen müssen. Es gibt aber Busunternehmungen, die ihren Sitz nicht in Hallstatt haben und den Ort für Ihre Zwecke missbrauchen, denn sie zahlen keine Kommunalabgaben. Allerdings sind in Hallstatt alle Parkflächen in kommunalem Besitz. Über die Parkgebühren werden also jährlich etwa 800.000 Euro eingenommen. Das ist für eine kleine Gemeinde relativ viel und die wichtigste Einnahme. Dank meines politischen Kontrahenten, dem ich hier Anerkennung zollen muss, gibt es etwas, das Hallstatt sehr klug nutzt: Gemeinsam mit den Bundesforsten ist Hallstatt Eigentümerin eines Mittelwasserkraftwerks, das mit einem Minimaleingriff in die Natur und einer extrem großen Fallhöhe etwa viermal so viel Strom produziert, als die ganze Welterberegion benötigt. Hallstatt könnte also ohne Tourismus mit den Einnahmen aus der Wasserkraft unsere Kommune erhalten. Doch was bringt uns dieses Geld, wenn die Menschen dennoch den Ort verlassen und abwandern.
Und die Menschen verlassen Hallstatt wegen des starken Tourismus?
Ja, durchaus. Man kann in Hallstatt nur gut leben, wenn man beide Augen verschließt oder mit der Tourismusindustrie verbandelt ist.
Und die übrigen Bewohner:innen leiden unter den Folgen. Etwa auch, dass es keine ganz übliche Handelsstruktur mit Apotheke oder Lebensmittelladen etc. mehr gibt.
Ja. Was wir uns nun mittlerweile dank unserer Einnahmen leisten können, ist ein kommunaler Nahversorger, geführt von Gemeindepersonal und zu normalen marktüblichen Preisen. Eine Grundvoraussetzung, wenn man hier leben möchte.
Es ist auch schade, dass es nicht im Bereich der Souvenirs mehr Angebote des heimischen Handwerks gibt. Eine Kuckucksuhr aus Plastik Made in China chinesischen Touristen zu verkaufen, kann doch nicht vertretbar sein.
Eben dieses heimische Handwerk war 1873 die Gründungsidee der Hallstätter Schule. Es gab damals eine Krise der Salzindustrie, weil man von Holz auf Kohlefeuerung umgestellt hatte und viele junge Menschen arbeitslos wurden. So wurde überlegt, was man mit Rohstoffen der Region wie Holz und Buntkalkstein herstellen könnte und kam zur Idee eigener Reiseandenken, die die Monarchie bislang aus Norditalien importiert hatte. Nicht zuletzt auch zu diesem Zweck, wurde die Schule gegründet. Die übergeordnete Institution war damals die Hochschule für Kunst und Industrie in Wien, die heutige Angewandte, in der die Lehrer der staatlichen Schule ausgebildet und die Unterrichtsmittel zur Verfügung gestellt wurden. Es entwickelte sich ein unglaublicher Boom, unter Einsatz von Rohstoffen aus der Gegend. Junge Menschen wurden ausgebildet, um brauchbare Dinge herzustellen und sie schufen schöne Reiseandenken. Die Fremdenindustrie interessiert das aber heute nicht, ihr geht es um Umsätze, um Masse. Nur die Keramik Hallstatt blieb erhalten, die Gudrun Baudisch-Wittke als eine der letzten und jüngsten Mitglieder der Wiener Werkstätte, gegründet hatte. Noch heute werden dort nach ihren Entwürfen Objekte hergestellt.
Das ist wenigstens ein positiver Aspekt. Und damit wären wir beim Thema Baukultur. Was kann man gegen diesen Massentourismusboom ausrichten. Und was wünschen Sie sich für die Zukunft der Baukultur in Hallstatt?
Meine Dystopie und meine Zukunftsängste sind folgende: Dass Hallstatt, wie Mont-Saint-Michel zu einer zwar wunderschönen, aber nicht mehr belebten Hülle verkommt, deren Inhalt für immer verloren ist. Um mein Haus herum gibt es bereits viel Leerstand, Zweitwohnsitze ebenso wie kurzfristige Vermietungen über Airbnb. Hallstatt ist zwar juristisch nach der Verordnung der Landesregierung eine sogenannte Vorbehaltsgemeinde, sodass ein Objekt nur noch zum Zweck einer Hauptwohnsitzbegründung erworben werden kann. Aber außer einer entsprechenden Anmerkung im Kaufvertrag hat das keine Auswirkungen. Hallstatt hat eine tolle Lage und selbst, wenn der Immobilienmarkt zusammenbricht, wird es teuer bleiben.
Haben Sie denn eine Idee, wie man dieser Situation Herr werden könnte?
Man könnte etwa mit den reichlichen Einnahmen aus dem Tourismus einen Fonds speisen und daraus zu den, wenn auch überhöhten Preisen, leerstehende Häuser erwerben, um diese dann etwa in Form von Baurechtsverträgen an junge Familien zu vergeben. Vielleicht würden dann wieder mehr Menschen hier wohnen wollen und es könnte daraus eine Kraft entstehen, Dinge zu entwickeln, die eine Koexistenz oder eben viel weniger Tourismus zur Folge hätten.
Sind jetzt weniger Häuser ständig bewohnt und gibt es viel Leerstand?
Es gibt Eigentümer, die es sich leisten können, ihr Haus in ihrer Abwesenheit einfach leer stehen zu lassen. Oder es wird kurzfristig über Airbnb vermietet – entgegen den Vorgaben des Flächenwidmungsplans, aber das wird einfach nicht sanktioniert.
Ich hoffe, wir finden zum Abschluss noch einen positiven Gedanken?
Ich lebe sehr gerne hier. Von jedem Fenster meines Hauses schaue ich auf den See und kann mich allmorgendlich daran erfreuen. Etwa wenn die aufsteigende Morgensonne die Unterseite der Wolken rosarot färbt und sich diese im See spiegeln, selbst wenn der See bei Regenwetter bleigrau wird, bin ich glücklich in meiner Burg mit den dicken Mauern und dem Felsen. Ich genieße es, mich in meine Höhle zurückzuziehen. Und etwas Schönes am Älterwerden: es regt mich alles nicht mehr so auf.
Aber ist denn der Tourismus das ganze Jahr über gleich intensiv?
Ja, leider. Vor 20 Jahren dauerte die Saison noch vom Muttertag bis zum Nationalfeiertag und den Rest des Jahres konnte man aufatmen. Heute geht der Wirbel fast ohne Pause durch. Mit einer Spitze im Juli und August. Und wenn man dann auch noch im eigenen Zuhause als pittoreskes Ausstattungsobjekt betrachtet wird, wird es unlustig. Das ist auch der Grund, warum ich schon jahrzehntelang keine Tracht mehr trage.
… um nicht als Staffage gesehen zu werden?
Ja, aber da sich die Kleidung immer mehr internationalisiert, fällt man als Einheimischer glücklicherweise immer weniger auf.