Zu Fuß gehen ist die elementare Logik von Stadt
Stadtplaner Johannes Fiedler hat mit Jördis Tornquist die Ausstellung Stadt und Verkehr im Kunsthaus Muerz konzipiert.
Ein Gespräch über das Auto
"In traditionellen Gesellschaften“, so heißt es zur Ausstellung, "war die Straße immer ein begehrter sozialer Raum.“ Durch den zunehmenden Autoverkehr im 20. Jahrhundert wurde die Straße allerdings immer mehr als Bedrohung wahrgenommen. Das ist ein Aspekt, der in der von Johannes Fiedler und seiner Frau Jördis Tornquist für das Kunsthaus Muerz konzipierten Schau beleuchtet wird. Zudem setzt sie sich mit Suburbanität, verschiedenen Mobilitätskulturen, Stadtutopien und natürlich dem Auto auseinander.
Falter: Herr Fiedler, einerseits brauchen wir Verkehr, andererseits halten wir ihn nicht aus.
Johannes Fiedler: Grundsätzlich ist er etwas Belebendes. Das ist der Grund, warum sich Menschen an Straßenzügen und Plätzen angesiedelt haben, weil er eine positive Auswirkung auf Gemeinwesen, Wirtschaft und soziale Interaktion hat. Die Technisierung hat aber eine Fülle an negativen Auswirkungen mit sich gebracht.
Und die Straße ist heute unser Feind?
Fiedler: Sie wird als Belastung empfunden. Die Häuser wenden sich ab, straßenseitig werden nur mehr Stiegenhäuser oder Nebenräume angeordnet. Auf diese Weise veröden die Straßenräume, und es gehen dort weniger Menschen zu Fuß - nur mehr marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die keine andere Möglichkeit haben. Es beginnt sich eine Abwärtsspirale zu drehen, die dazu führt, dass noch mehr Autos fahren.
Was kann man dagegen tun?
Fiedler: Der Schlüssel ist die Attraktivierung des öffentlichen Raums. Und die Benutzung des Autos sollte die Ausnahme sein. Etwa wenn die Großmutter aus dem Krankenhaus abzuholen ist. Zudem müsste die Standort- und Arbeitsplatzwahl so erfolgen, dass man nicht aufs Auto angewiesen ist. Dann würden schon zwei Drittel aller Fahrten wegfallen. Und auf der Ebene der räumlichen Struktur wäre es wichtig, dass wir wieder zu einem einfacheren System von Korridoren kommen, zu einem wenig differenzierten Straßennetz, wie es etwa in Manhattan vorhanden ist. Wo Straßen ihre Funktion immer wieder verändern können. Einmal ist eine Straße eine Geschäftsstraße, dann entwickelt sie sich zu einer Wohnstraße. Das ist ein zukunftsoffenes System.
Ist so etwas für ein bestehendes Gefüge wie Graz vorstellbar?
Fiedler: Durchaus. Im 20. Jahrhundert hat man versucht, ein sehr spezialisiertes Straßensystem herzustellen, mit verkehrsberuhigten Wohngebieten auf der einen Seite und Hochfrequenzkorridoren auf der anderen Seite. Aber das lässt sich relativ leicht rückführen, was ein lohnendes Projekt für eine Generation wäre.
Wie würde das konkret aussehen?
Fiedler: Jede Straße sollte etwa an jedem Punkt zu Fuß überquerbar sein. Das würde bedeuten, dass keine Straße mehr als zwei Spuren hat. Für eine Stadt wie Graz ist das kein Problem - die Dimensionen sind überschaubar, ebenso die Anzahl von Straßen, die man verändern müsste. Es gehört auch dazu, dass die Bebauung unmittelbar der Straße zugeordnet ist und sich nicht abwendet. Die Größe der Bauplätze dürfte dabei ein gewisses Ausmaß nicht überschreiten. Eine Abfolge unterschiedlicher Identitäten, verschiedener Häuser und Architekturstile ist sehr wichtig für den Straßenraum. Das macht die Stadt lebendiger.
Wir müssten also mehr zu Fuß gehen?
Fiedler: Zu Fuß gehen ist die elementare Logik von Stadt, das wird sich nicht ändern. Die Menschen werden immer die gleichen Anforderungen haben, was diese Fortbewegungsart betrifft - dass man überall sicher und würdevoll zu Fuß gehen kann und nicht von Abgasen oder Lärm vertrieben wird.
Im Zuge des eben beschlossenen Maßnahmenpakets gegen den Feinstaub wird jetzt etwa geprüft, ob man eine Citymaut einführen soll.
Fiedler: Ich bin generell für eine Bemautung des Kfz-Verkehrs. Aber es sollte nicht bei der Andritzer Maut eine Gebühr eingehoben werden, sondern eine regionale, kilometerabhängige Kfz-Abgabe. Für den gesamten Ballungsraum wird diese Abgabe dann über GPS berechnet. Es soll ja nicht darauf hinauslaufen, dass die Innenstadtwirtschaft benachteiligt wird oder dass sich ein Betrieb in Seiersberg ansiedelt, um der Maut zu entgehen.
Was bringt der Umstieg auf Elektro- oder Gasautos?
Fiedler: Davon wird etwas zu viel erwartet. Das Problem wird nicht gelöst, wenn alle Autos auf schadstoffarm oder elektrisch umgestellt werden. Klar ist es besser, wenn Autos irgendwann keine giftigen Gase mehr ausstoßen. Aber das Hauptproblem des Autoverkehrs ist die Raumzerstörung, die Zerstörung von Nähe. Das kann man nicht durch alternative Antriebssysteme lösen.
Wird die identitätsbildende Rolle des Autos unterschätzt?
Fiedler: Der Erfolg des Systems Auto basiert zu einem großen Teil auf irrationalen Aspekten, dazu gehört Prestige. Eine nachhaltige Gesellschaft kann aber auch in Zukunft Autos haben. Sie werden nur einen Bruchteil an Energie verbrauchen, und es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand ein schickes Fahrzeug hat, sofern er es nicht so oft benutzt. Es haben sich ja mittlerweile urbane Kulturen herausgebildet, die das Prestige vom Auto auf das Bike, die Kleidung oder Ähnliches verlagert haben. Die Menschen sind sehr erfindungsreich, wenn es um Distinktion geht.
Derzeit werden in Graz auch autofreie Tage und tageweise Fahrverbote diskutiert. Was halten Sie davon?
Fiedler: Sicher wird ein autofreier Tag quantitativ nicht so einen großen Effekt haben. Aber als Beitrag zum Kulturwandel ist er wichtig. Man kann sich das ja schwer vorstellen, aber es gibt eine Generation, die in den 70er-Jahren sozialisiert worden ist und ihr ganzes Leben immer nur mit dem Auto gefahren ist. Die wissen oft nicht, wo man einen Fahrschein kaufen kann. Da kann ein autofreier Tag ein Impuls sein.
Der Verzicht aufs Auto würde Menschen außerhalb der Ballungsräume am stärksten treffen.
Fiedler: Für die suburbane Bevölkerung, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Steiermark massiv entwickelt hat, ist das Auto die Existenzgrundlage. Es begründet den Standort, die Identität, den ganzen Alltag. Eine Einschränkung des Autoverkehrs würde einen grundlegenden Wandel der Lebensumstände bedeuten. Aber man muss bedenken, dass ein Großteil der Entscheidungen für eine Ansiedlung auf der Basis der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur getroffen wird. Die Leute sagen: "In 20 Minuten bin ich in Graz.“ Wenn man mit öffentlichen Geldern die Autoverkehrsinfrastruktur ausbaut, kann man von den Leuten auch keinen Wandel im Siedlungsverhalten erwarten.
Also ist der eben neu eröffnete Knoten Graz-Ost, rund 24 Millionen Euro hat er gekostet, für Sie eine kontraproduktive Maßnahme?
Fiedler: Ja, ich würde solche Maßnahmen wie den Knoten Graz-Ost, der ja Teil einer neuen Pendlerschneise für die Südoststeiermark ist, als anachronistisch bezeichnen. Vergleichbar mit der Wildbachverbauung in den 70er-Jahren. Die Denkweise, es gibt einen Fluss, den muss man kanalisieren und ableiten, ist gerade bei Verkehr vollkommen unangebracht. Wenn man es den Leuten bequem macht, kann man auch keine Verhaltensänderung erwarten.