Heutzutage verzeichnet ein Großteil der Städte ein kontinuierliches Wachstum. Um den Anforderungen dieser momentanen Zuwanderung gerecht zu werden, kommt es oft zu einer Errichtung ganzer Stadtentwicklungsgebiete auf ehemaligen Brachflächen oder auf der grünen Wiese. Um Städte lebenswert zu machen und damit Urbanität herrschen kann, braucht es Zeit und Entwicklung – es ist ein langer gesellschaftlicher Prozess, bis Stadtkultur entstehen kann.
Doch ist es möglich, dass Städte mit uns wachsen können? Kann man gemeinsam einen neuen Stadtteil entwickeln?
Städte sind wie Menschen. Wir werden geboren, wir beginnen zu gehen und zu sprechen, wir wachsen und wir entwickeln uns ständig. Die Entstehung einer Stadt weist unterschiedliche Parallelen zu der eines Menschen auf. Vergleichbar ist beispielsweise der Prozess des Wachstums, da dieser beim Menschen sowie auch bei der Entwurfserstellung nie zur Gänze abgeschlossen sein kann. Folglich unterliegen Städte auch einem permanenten Wandel und Wachstum, wodurch die Notwendigkeit des prozesshaften Planens verdeutlicht wird. Für die Entstehung von Urbanität unabdinglich ist ein vielschichtiger Nutzungsmix in den einzelnen Stadtvierteln, wobei auch gleichermaßen die Miteinbeziehung von temporären und konstanten Nutzungen im öffentlichen Raum unumgänglich ist. Den Nutzungen vor, während oder nach den einzelnen Bauabschnitten sollte viel mehr Beachtung zukommen. Die Zeit während der Veränderung eines Stadtviertels stellt einen Prozess dar, in dem es zur Entwicklung eines qualitativen urbanen Lebensraumes kommt.
Eine Problematik des heutigen Städtebaus ist der Hindernisfaktor Zeit. Ein Quartier benötigt Zeit, sich entwickeln zu können. Der Blick auf Zwischennutzungen in den einzelnen Übergangsphasen sollte mehr Aufmerksamkeit bekommen, um den Menschen Zeit zu geben, sich auf die neuen Strukturen einzulassen und sich mitzubeteiligen.
Diese Fragestellungen leiteten mich bei dem Entwurf, der sich dem wachsenden Städtebau verschreibt – wie man am sinnvollsten leeren Raum nutzen kann, um den Menschen in der Umgebung zu integrieren und neu entstandenen Wohngebieten einen urbanen Charakter zu verleihen. Der Entwurf wird von dem Leitgedanken getragen, dass unser Leben schließlich selbst aus Wachstum und prozesshaftem Denken sowie Handeln besteht. Anhand des Entwicklungsgebietes Neu Marx in Wien wird der städtebauliche Versuch unternommen dieses Stadtgebiet prozesshaft heranwachsen zu lassen. Es handelt sich hierbei um eine mehr als 40.000m2 große Brachfläche, die im Projekt in ein Kreativ-, Wohn-, und Forschungsviertel umgestaltet werden soll.
Skalierbarkeit
Der Lebensraum kann vergrößert und verkleinert werden, je nach Bedürfnis und individuellem Verständnis. Denn betrachtet man den Lebensraum in unterschiedlichen Maßstäben, so entstehen hier einige Synergien. Lebensraum findet man in der Wohnung, im Wohnhaus, im Quartier und in der Stadt. Je weiter man hinein zoomt desto klarer, desto detaillierter werden die Elemente, je weiter man hinaus zoomt desto unschärfer, desto gröber werden sie.
Entwurfsphasen I-IV
Der Prozess wird in vier Phasen eingeteilt, jedoch, ist diese „Entwurfsvariante“ eine Art Spielplan, eine Richtlinie, die versucht, mitwachsenden Städtebau zu kreieren und um ein Gefühl des Wachstums zu vermitteln. Der Schwerpunkt von Marx Rinderwahn liegt darauf, das Quartier mit temporären sowie konstanten Nutzungen bestmöglich zu aktivieren; in weiterer Folge soll so wenig wie möglich an den baulichen Maßnahmen verändert werden. Das heißt, es werden nur dort Bäume, Wege, Trinkwasserbrunnen, Sanitäreinrichtungen etc. gepflanzt bzw. errichtet, die auch in den weiteren Phasen dort bleiben werden. Eine Wieder- und Weiterverwendung, ein Upcycling, dieser Elemente gibt den Anstoß für eine wachsende Struktur.
Phase I beginnt, mit den bisherigen Nutzungen mitzuwachsen und die momentanen Einrichtungen werden weiterhin bespielt und genutzt. Das Leuchtturmprojekt Marianne soll mit seinem Entwurfskonzept die Aufmerksamkeit auf das Gebiet ziehen. Der Wohnblock wurde von Mario Steiner im Zuge seiner Diplomarbeit – ebenso unter dem Aspekt der Skalierbarkeit – bearbeitet (siehe Artikelempfehlung unten). Das Quartier wird immer dichter und immer mehr unterschiedliche Baukörper wachsen heran. Kleinteiligkeit und die Vielfalt der Gebäudeformen sorgen für Dichte und Urbanität. Dichte steht für Geborgenheit und gibt ein Gefühl von städtebaulicher Nähe und Nachbarschaft. Die Baukörper funktionieren für sich und doch ergeben sie in der Konstellation ein städtebauliches urbanes Gefüge. Marx Rinderwahn konzentriert sich auf alle drei Bauplätze gleichzeitig und versucht dabei, alle als ein Ganzes zu sehen, das in Abhängigkeit voneinander aufwächst.
Marx Rinderwahn ist der Versuch, mit der Skalierbarkeit eine Herangehensweise zu finden, die eine gleichmäßige Verteilung von Nutzung und Funktionen erreicht. Der Schaffensprozess des Wachstums – des Menschen sowie für einen Entwurf – kann nie zur Gänze abgeschlossen sein. Städte unterliegen einem ständigen Wandel und Wachstum, daher ist prozesshaftes Planen mit und für den Menschen wichtiger denn je um ihm einen qualitativ hochwertigen und urbanen Lebensraum zu geben.
Es ist und bleibt ein Prozess!