40 Quadratmeter Wintergarten plus 15 Quadratmeter Balkon, endloser Ausblick und silberne, isolierende Vorhänge, die das Sonnenlicht in die Stadt zurück reflektieren. Innen eine scharfe Grenze zwischen individueller Wohnatmosphäre und rauen, nüchternen Raumerweiterungen. Außen ein modernes, zeitloses Bild. Das Pariser Architekturbüro schafft in französischen Städten auf dem Sozialen Wohnbausektor das, was andernorts nicht möglich zu sein scheint. Mit wenigen und unaufgeregten Materialien fügen sie Raum zu vorhandenen Wohnungen hinzu, die die meisten eher dem Abriss preisgeben würden. Sie verhelfen negativ wahrgenommenen Gebäuden zu einem positiven Image.
Viele der 200 Leute in der Aula der TU Graz mussten bereits von den französischen Architekten Lacaton & Vassal gehört haben. Seit mehr als zehn Jahren vertreten und realisieren die Architekten die radikale Position, dass der Umbau aus ihrer Zeit gefallener Gebäude die bessere Lösung ist als deren Abriss. Anne Lacaton kam auf Einladung des HDA (Haus der Architektur Graz) und der Fakultät für Architektur der Technischen Universität Graz. Stefan Peters, Dekan der Fakultät für Architektur, führte den Abend ein, bevor der Geschäftsführer des HDA Markus Bogensberger die Vortragende Anne Lacaton mit den Worten vorstellte, dass Lacaton & Vassal in Publikationen als the most radical architects beschrieben werden.
Always add
Allways add – Never Take away!, setzte Anne Lacaton in den ersten Minuten dann auch an zu erklären, was die Inhalte und Überzeugungen sind, mit denen sie und das Büro an ihre Projektarbeit gehen. Sie erklärte, dass die durch die französische Regierung ausgeschriebenen Abrissprogramme in den Vorstädten um die Jahrtausendwende Auslöser für grundlegende Überlegungen zum Wohnungsbau waren. Damals wurden Millionen für den Abriss heruntergekommener Wohnbauten und Leerständen freigegeben. Das Ersetzen der verlorenen Wohnungen hätte nochmals viel gekostet. Diese Rechnung stellten Lacaton und Vassal in Frage, suchten mit Case Studies nach räumlichen Qualitäten, die man durch Umbau den maroden Objekten hinzufügen könnte. Sie stellten eine neue Rechnung auf, die zeigte, dass die Transformation durch einfache Mittel wie vorfabrizierte Raumelemente und industrielle Materialien finanziell die effizientere Lösung für den Umgang mit der Bausubstanz der Vorstädte sei. Lacaton & Vassal schlugen 2004 in der Studie Plus erste konkrete Erweiterungen für Bauten aus den 60er und 70er Jahren vor.
Tour Bois le Prêtre
Als vormals zeitgemäße Architektur war auch der Tour Bois le Prêtre um 1980 mit Vollwärmeschutz und Asbest renoviert worden. Um 2000 wurde er zum Problem, they said Alcatraz, so Anne Lacaton. We wanted to avoid the relocating from tenants with our project – we wanted to give more space and lighter space – and community spaces, because people in those buildings tend to stay in there flats, they should go out more often. Keine Mieterhöhungen nach Fertigstellung war außerdem eines der Projektziele. Plus is beeing generouse and does more by making good use. It transforms efficiantly the existing buildings. It is an attitude of optimism, charakterisierte Anne Lacaton diesen Vorschlag zur Transformation. Mit dem Umbau sollte das Bild, das Alcatraz, in den Köpfen verändert werden: We havent been interested in changing the form of the building. We wanted to change the image of it.
Start with the small space of living
Anne Lacaton beschrieb die eigene Vorgehensweise, die in allen Projekten umgesetzt und verfeinert wird, anhand des Tour Bois le Prêtre: It is important for us to start at a small scale! We never start with the masterplan – but with the small space of living. Die Situation im Bois le Prêtre begleiteten und veränderten Lacaton & Vassal mit kontinuierlichen Bewohnergesprächen. Gut ein Drittel der Bewohner tauschte in diesem Prozess ihre Wohnungen. Sie erhielten Räume, die ihren persönlichen Wünschen und Bedürfnissen näher waren. Gespräche führten sie zuerst mit allen Bewohnern gemeinsam und dann Stockwerk für Stockwerk, Tür für Tür. Das heißt the small scale für Anne Lacaton.
We didn't care that everything was equal – prefab, steel and polycarbonate
Anne Lacaton gab Einblick in die architektonischen Antworten, die das Büro erarbeitet hat. Clevere Module, die wie ein Gerüst nach der Wegnahme der alten Fassade statisch unabhängig funktionieren, bilden eine vorfabrizierte Raumhülle. Mit Glasgeländer, Stahlbalkon, Trennschichten aus Glas und Polycarbonat und eben diesen isolierenden, silbrigen Vorhängen funktionieren sie als thermische Pufferzone. Das einzelne Modul musste so leicht wie möglich sein – fünf bis sieben Tonnen am Ende –, aus Beton wären es zwanzig gewesen. Die Module wurden mit der alten Struktur über die Geschossdecken verbunden. Lacaton & Vassal bestanden darauf, keine Niveausprünge zwischen Alt und Neu entstehen zulassen, was bei heutigen Baurichtlinien mit Geschossdeckendicken von 18 cm im Detail eine Herausforderung war. Sie bestanden auch auf Stahl, obwohl der Bauträger Beton wollte. Sie setzten sich durch! In total 150 modules to build, 3 months to put up the modules plus another 3 months for cladding the glas facade – es musste reibungslos gehen.
Bis 2011 fügten die Architekten dem Bestand des Tour Bois le Prêtre 40% Raum hinzu. Aus 96 Wohnungen wurden 100, aus 8.900 qm wurden 12.300 qm. Das Haus bekam einen ebenerdigen Eingang, eine bessere vertikale Infrastruktur und ein leichtes Kleid aus Stahl und Glas. Mit 112.500 Euro pro Wohnung kostete die Metamorphose mehr, als vorab gedacht, aber immer noch weniger als Abriss und Neubau mit veranschlagten 167.000 €.
Against the idea of simply demolish
Architektur beginnt laut Anne Lacaton mit einem sorgfältigen Blick „towards the existing“. Sie stellt sich gegen die Annahme, dass der Umbau eines Gebäudes generell teurer sei als dessen Abriss und Neubau. Lacaton & Vassal arbeiten an der Umsetzung dieser Einstellung. Einmal an der Arbeit, würden sie eher aussteigen, als die Grundsätze ihrer Architektur zu verlassen. We never doubted that that is the right way, because it is a spatial improvement. So we have no regrets and sure we learn for the next, bestärkt Anne Lacaton zum Abschluss.
Yes we can!
Die Geisteshaltung dieser 'Grande Dame' ist schlichtweg beeindruckend.
Sie stört sich (wie sehr viele andere) daran das diese Gebäude einfach abgerissen oder sehr engstirnig saniert werden ('Dämmung raufkleben und fertig').
Bestimmt verdienen sehr viele sehr gut damit.
Lacaton & Vassal arbeiten sich voller Tatendrang an diesem schwierigen Feld ab und schaffen neue Realitäten und Möglichkeiten.
Formidable!