23/10/2024

Im Sommer 2024 präsentierte das Institut für Städtebau der TU Graz ein neues Buch, das den Paradigmenwechsel von Zielen und Strategien für urbanen Wandel vehement und vor allem erfrischend vielstimmig einfordert: 
Territorial Urbanism Now! knüpft an das Buch „Basics on Urbanism“ (2021) an, das ebenfalls Intentionen wie auch Methoden des Institutes unter Prof. Aglaée Degros reflektiert und basiert zum Teil auf Erkenntnissen des Symposiums „Territorial Turn“ (September 2022).

Institute of Urbanism / Aglaée Degros / Eva Schwab / Anna Bagaric / Sabine Bauer / Jennifer Fauster / Radostina Radulova-Stahmer / Mario Stefan / Alice Steiner (eds.)
 

23/10/2024

Cover Territorial Urbanism Now!
© Jovis, TU Graz, Institut für Städtebau

© Jovis, TU Graz, Institut für Städtebau

© Jovis, TU Graz, Institut für Städtebau

© Jovis, TU Graz, Institut für Städtebau

Die Tatsache des Eingangszitates: „The world is on fire“ scheint tatsächlich noch nicht bei allen Menschen angekommen zu sein, Umweltthemen rangieren zu oft noch unter ferner liefen, viel zu wenig passiert. Warum eigentlich, fragt man sich gemeinsam mit Eva Schwab in einem der letzten Aufsätze: „Evidently, good practises and approaches guide the way, and knowledge abounds on what to do and how to do it - but still, not enough is currently happening”. 
Dazwischen spannt sich der Bogen des neuen Buches: Was muss im Denken über und im Handeln für Stadt geschehen, um die multiplen Krisen unserer (nicht von uns getrennt zu denkenden!) Umwelt zu bewältigen? 
Denn: „It`s time to face up our responsibilities and to question our planning routines!” fordert Degros.

In formal wie inhaltlich sehr unterschiedlichen Texten präsentieren sich Beispiele von ebenso unterschiedlichen urbanistischen Denkansätzen und Handlungen: Papers wechseln mit Essays, dazwischen folgen immer wieder kurze Interviews.

Stefan Bendiks und Aglaee Degros stellen zudem futuristische und gleichzeitig pragmatische Projekte von Studierenden vor: Die Denkansätze spielen mit Transport- und Logistikwesen, erforschen Kreisläufe in verschiedenen Maßstäben und zeigen auch, dass man, wenn man über den Tellerrand hinausdenkt, eine aktive gestalterische Rolle einnehmen kann. 
Davide Curatola Sopranas Fotoessay: „It could be Paradise, Again“ entführt zumindest den Kopf kurzzeitig, aber sehr effektiv, in eine Salzwasserlagune in Spanien.

Weil die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen auch eher eine für alle gute Lösung hervorbringt, sind folgerichtig Kunst, Soziologie, Psychologie, Philosophie und Politik ebenso vertreten wie Architektur, Städtebau oder Landschaftsplanung.
Die Texte selbst sind generell eher knapp, wie Quintessenzen der jeweiligen Arbeit. So geben sie im gesamten einen guten, komprimierten Überblick über Forschung und Anwendung. Kurzweilig ist es dadurch aber ebenfalls.

Das liegt natürlich auch an der umfangreichen Bebilderung, wobei man bei manchen Grafiken schon etwas länger braucht, um sie zu verstehen, weil es sich eben nicht mehr um die gewohnten „reine Pläne“ handelt, sondern um quer gedachte Handlungsabfolgen, die das Zusammendenken mehrerer Professionen erfordern.

Die auf den allgemeinen ersten Teil folgende Einteilung in „Fringe“ (Ränder oder Randgruppen) und Mindset (Verhaltensmuster, Denkweise) ist – obwohl beide sehr klug eingeleitet werden – eigentlich überflüssig: Zunächst möchte man ja vom „Grenzdenken“ weg, (was wäre der Rand vom Rand, was ist die Mitte des Zentrums?), und auch die auf urbane Randzonen bezogenen Texte beinhalten immer auch, dass sich eben nicht nur Methode und Zielsetzung, sondern zunächst die mentale Herangehensweise ändern muss: Die für einen Wandel notwendigen neuen kreativen Perspektiven klingen ob des Risikopotenzials wie ein Alptraum jeder (österreichischen?) Stadtverwaltung.

Deshalb war vielleicht für mich der Aufsatz von Claudia Bode und Philipp Misselwitz, „A Plea for a Territorial Climate Imaginary“ besonders beeindruckend: „It is also a crisis in our ABILITY to imagine a more positive, hopeful Future.” – nur eine gute, geteilte Vision ermöglicht Raum für kollektives Arbeiten an und in unserer Umwelt, urban, rural und im Kontinuum dazwischen. Die Leitsätze der „Charter for the City and the Earth” (Frühjahr 2022, Bauhaus Earth), die hier zitiert werden, klingen einfach und machbar, scheitern aber viel zu oft an verkrusteten Strukturen der Verwaltung, am Beharren auf dem heiligen eigenen Wirkungsbereich und der daraus resultierenden Unmöglichkeit, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen und letztendlich immer wieder an der Kurzsichtigkeit in ökonomischen Belangen bzw. schlicht und einfach an der Gier des Menschen.

Dieses Buch zeigt, wie viel Forschung und beeindruckend gute Beispiele es bereits gäbe, um das urbane Leben besser zu gestalten, nur sind es eben noch Beispiele im Sinne von einzelnen, herausragenden Ausnahmen, und es ist noch lange keine Selbstverständlichkeit, dass die Theorie in der Praxis Gehör findet – die Entwicklung hierzulande ist eher gegenläufig, scheint mir. Dem Wandel mit einer Art Willkommenskultur zu begegnen, wie in „Territorial Urbanism Now!“ gefordert, ist für Österreicher:innen anscheinend ein schwieriges Unterfangen.

(Auch für diesen Nachholbedarf wäre dem Buch eine baldige deutsche Übersetzung zwecks weiterer Verbreitung zu wünschen ...)


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Erschienen im Jovis Verlag Berlin, 2024

Softcover
264 Seiten, ca. 110 farb. und s/w Abb.
Englisch
ISBN 978-3-98612-063-4
07.2024

E-Book 
ISBN 978-3-98612-064-1
07.2024


Vorwort von Aglaée Degros
Einführungen von Sabine Bauer und Marion Stefan
Papers von Tommaso Pietropolli, Elena Andonova, Julio de la Fuente, Natialia Gutierrez, Ward Verbakel, Beatrice Galimberti, Lilli Licka, Hannes Gröblacher, Johannes Bernsteiner und Stefan Devoldere 
Essays von Paola Vigano, Eric Luiten, Stefan Rettich, Claudia Bode, Philipp Misselwitz, Anselm Wagner, Susanne Eliasson, Eva Pfannes, Jesse Honsa und Eva Schwab. 
Interviews von Sandra Guinard mit Ali Madanipour, Chris Younés, Christian Schmied, Erik Wieers, Maarten von Acker.
Vorstellung von ausgewählten Projekten Studierender von Stefan Bendiks und Aglaee Degros.
Fotoessay von Davide Curatola Sopranas 
 

Karin Tschavgova

In jedem Absatz ein kluges, vor allem ganz realitätsnahes Resumee zum Handeln beziehungsweise Nichthandeln der Stadtverwalter und (angeblichen) amtlichen Stadtentwickler. Die scheuen alles Neue, Unerprobte, Zukunftsträchtige wie der Teufel das Weihwasser. Warum? Weil es für sie Mehrarbeit und mehr Engagement bedeutet (theoretische Grundlagenarbeit und das Aufsetzen neuer Projektentwicklungen), außerdem das Risiko, zu scheitern, und welcher beamtete Stadtentwickler will/braucht das schon? All das hier als notwendig Beschriebene und im Nichthandeln Kritisierte kann man 1:1 auf die derzeitige Entwicklung der Bebauung Rösselmühle anwenden, wo maximal "das Pferd von hinten aufgezäumt" werden wird. Moderne, zeitgerechte Stadtplanung schaut anders aus, das sollte auch die für Stadtplanung politisch Verantwortliche endlich verstehen (lernen).

Fr. 25/10/2024 11:50 Permalink
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