22/10/2024

Die Kirche ist nach wie vor eine mächtige Instanz im Staat, deren Einfluss auch in Wirtschaft, Kultur und Politik stark spürbar ist. Aufgebaut auf einem über Jahrhunderte gepflegten und vermehrten Erbe spielt die Kirche in Staat und Medien weiterhin eine gewichtige Rolle – als Global Player mit Sonderrechten, der nach wie vor daran festhält, in göttlichem Auftrag zu handeln. 

Zu Themen, die die Gesellschaft aktuell bewegen. Jeden 4. Dienstag im Monat.  

22/10/2024

parazit, 2024

©: Severin Hirsch

Die Kirche hat uns gelehrt, zwischen gut und böse zu unterscheiden und uns mit den „Zehn Geboten“ eine Anleitung mitgeliefert, wie sich das anhand des eigenen Verhaltens umsetzen ließe – frei nach dem „Kategorischen Imperativ“ Immanuel Kants, der die zehn Gebote um die Kategorie der menschlichen Vernunft erweitert, nach derjenigen Maxime zu handeln, die zugleich ein allgemein(gültig)es Gesetz sein sollte. Der kategorische Imperativ ist eine Handlungsmaxime, die egoistischen Motiven als Beweggrund für Handlungen vorbeugen soll, die zehn Gebote dagegen ein primitiver Handlungsleitfaden, der unhinterfragten Gesetzescharakter in Form der Norm, des positiven Rechts widerspiegelt. Dazu gesellen sich die „Sieben Todsünden“, die die zehn Gebote mit Hilfe der göttlichen Strafandrohung untermauern sollen. Das zehnte Gebot beispielsweise lautet: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut. Die dazugehörige Todsünde wäre in diesem Fall wohl der Neid. Fernab von marxistischem Gedankengut und bestimmt auch unter Wahrung der Eigeninteressen stellen die zehn Gebote persönlichen Besitz nicht infrage, selbst wenn er durch die Erbsünde der Habgier zustande gekommen ist. Das wird schon Gott höchstpersönlich richten und die Kirche ist aus dem Schneider.

In Österreich wird das Gesamtvermögen der katholischen Kirche auf 4,5 Milliarden Euro geschätzt, womit sie unter den zehn reichsten Privateigentümer:innen des Landes liegen würde. Würde (auch so ein inflationärer Begriff, mit dem die männlichen klerikalen Würdenträger gerne jonglieren), denn die Kirche gibt es nicht. Österreichweit existiert ein intransparentes finanzielles Netzwerk aus neun Diözesen, etwa 3000 Pfarren, 200 Ordensgemeinschaften und persönlichen Refugien der Bischöfe, die sich alle als eigene Rechtsträger mit gesonderten Finanzen ausweisen – ein ähnlich undurchschaubares Konstrukt, wie wir es auch von rein wirtschaftsorientierten Großkonzernen kennen. Seit Jahrhunderten gehört die Kirche österreichweit zu den größten Grundbesitzenden, bestes Beispiel hierfür ist das Stift Admont, das an siebenter Stelle rangiert und neben der Holzwirtschaft auch ein Skigebiet und Kleinkraftwerke mit eigenem Versorgungsnetz betreibt, Weinbaugebiete (selbst in Slowenien) und zahlreiche Immobilien innehat. Stift Admont ist nur ein Beispiel für die gewinnorientierten ökonomischen Tätigkeiten innerhalb des breitgefächerten Begriffs „Kirche“. Und warum sollen wir kirchlichen Einrichtungen nicht zugestehen, am Markt mitzumischen, schließlich kämpft heutzutage überall jede/r ums Überleben? Selbst die Styria Media Group AG ist zu 98% im Besitz der „Katholischer Medien Verein Privatstiftung“ (der vormalige „Katholische Preßverein der Diözese Graz-Seckau“), der Rest fällt an den „Katholischen Medien Verein“, ebenfalls unter dem Einfluss selbiger Diözese, die auch mit einem beträchtlichen Immobilienbesitz aufwarten kann. Gottes Wort braucht ein Medium, um verkündet zu werden, und was früher der göttliche Hauch der Seele war, wird heute über massentaugliche Medien verbreitet. Wir können getrost glauben – an Gott und seinen Medien.

Da kirchliche Institutionen nicht verpflichtet sind, ihre Bilanzen offenzulegen, kann über das reine Kapitalvermögen der Kirche nur spekuliert werden. Neben Grund-, Immobilien- und Kunstbesitztümern wie auch Unternehmens- und Bankenbesitz bzw. –teilhaben wird es aber auf zumindest 1,5 Milliarden Euro geschätzt. Interessanterweise muss gerade diejenige Institution, die von ihrer Mitgliedschaft Steuern/Abgaben einfordert, nicht nachweisen, was mit ihren Einnahmen passiert. Klingt beinahe nach einem Staat im Staat, einem Schattenstaat, einem deep state, eine Bezeichnung, die auch gerne für die Mafia oder ähnliche illegale Organisationsstrukturen angewendet wurde/wird. Dabei ist zu bemerken, dass sich jene Verbrechensorganisationen, die das Recht auf ihre Seite zu biegen vermögen, um ihr Vermögen auf legaler Grundlage zu erweitern, für das Wohlergehen und den Wohlstand der Bevölkerung als die größte Bedrohung erweisen.

Irgendwann bis ins späte 20. Jahrhundert war die Unterscheidung zwischen Gut und Böse – zumindest an der Oberfläche – relativ einfach. Die Mafia. Kriminelle, Korruption oder Terrorismus, Kommunismus auf der einen, Kapitalismus auf der anderen Seite, waren Böse, weil sie den Staat, das Leben oder das Eigentum bedrohten. Das spiegelte sich in den Inhalten der Film- und Fernsehindustrie wie auch anderer Medien wider. Doch der postmoderne Arbeitsauftrag im Verwischen der Grenzen von Gegensätzen löschte auch die Unterscheidung von Gut und Böse aus. Seither befinden wir uns in der Schwebe, jede/r ist verdächtig, andere zu betrügen, zu unterdrücken und/oder auszubeuten. Täglich werden wir mit neuen Aufdeckungen von politisch-ökonomischen Betrügereien konfrontiert, die Unterhaltungsindustrie stürzt sich auf Thema der politischen Intrigen und wirtschaftlichen Verstrickungen und Verwicklungen in dubiose Machenschaften. Die Unterwelt tritt an die Oberfläche und vervollständigt das Bild einer Welt als Ganzheit. Der Kodex der Verschwiegenheit wurde gebrochen, jetzt warten wir auf den Urteilspruch des Jüngsten Gerichts, dort, wo die irdischen Gerichte versagen, weil die Quellen versiegen. Nur die Kirche darf sich noch an Stellen bedeckt halten, die eigentlich offengelegt werden sollten, während sie andere Stellen, die von vornherein bedeckt bleiben müssten, entblößt.

Der Machtmissbrauch findet in der Kirche und ihren Institutionen nicht nur in Form von sexuellen Übergriffen und Kindesmissbrauch statt, sondern auch als strukturelle Gewalt. Als Betreibende und Verwaltende von Immobilien nehmen sie sich zum Teil Rechte zur Mitbestimmung heraus, die ihre Kompetenzen und Zuständigkeiten bei Weitem überschreiten – das alles mit der Berechtigung, in Gottes Diensten zu stehen oder zumindest daran teilzunehmen und in Seinem Sinne zu handeln – Methexis, die Teilhabe/Teilnahme der menschlichen Seele am Göttlichen. Zumindest hier sollte aber das marxistische Prinzip der Gleichverteilung und der Klassenlosigkeit angewendet werden können, da jedes zumindest menschliche Wesen im Besitz einer Seele ist. Doch aus unerfindlichen Gründen nehmen sich Menschen, die sich Gott als Arbeitgeber verpflichtet fühlen, eine Art göttliches Recht heraus, über andere Menschen zu urteilen, Macht über sie auszuüben, über sie zu gebieten und sie anzuweisen wie ein Ludwig XIV., dem die Sonne/Gott aus dem Mund schien. Auch der Gedanke, dass sie im Auftrag Gottes handeln, fühlt sich an, wie sich nicht für Bilanzen rechtfertigen zu müssen. Gottesstaat. Die Transparenz im Gottesstaat ist nicht durchsichtig, sondern unsichtbar. Ein Vorbildmodell für alle Großkonzerne. Nichts kann nachgewiesen oder gerechtfertigt werden, ein Unternehmen, das von unsichtbarer Hand und einer unhörbaren/unerhörten Stimme geführt und befehligt wird. Vielleicht ist es doch Gottes Wort, das durch die Tageszeitungen und Filme zu uns spricht oder nur die hermeneutische Auslegung seiner irdischen Hände/Handelnden?

Gut und Böse existieren nicht mehr, weder in einem kirchlichen Kontext noch außerhalb. Die Existenz Gottes muss nicht mehr bewiesen werden und das Unternehmen Kirche braucht seine Existenz nicht zu beweisen, es existiert deshalb noch, weil es aus einem großen Reservoir an Ressourcen schöpfen kann und diese, sich auf göttliches Recht und göttliche Ordnung stützend, guten und reinen Gewissens gewinnbringend einzusetzen weiß. Spätestens mit der Ersten Republik 1919 erfolgte formell die endgültige Trennung von Kirche und Staat, seither existiert die Kirche ersichtlich und spürbar mit Sonderrechten und staatlichen Privilegien ausgestattet, als (Gottes-)Staat im Staat.

Maria Stachel

Kirche konkret:
Vor ca. 2 Jahren wurde die Mesnergasse (Durchgang zwischen Herrengasse und Bischofsplatz) geschlossen. Ursprünglich mit der Begründung von Bauarbeiten. Aber die Bauarbeiten sind längst abgeschlossen. Die Kirche denkt nicht daran, den Durchgang jemals wieder zu öffnen. Und keine große Institution (Altstadtkommission, ....) klagt darüber, nur die "Kleinen", denen die abkürzende Wegstrecke verwehrt wurde - aber die hört ja Niemand.
Wenn eine Privatperson einen Durchgang in der Innenstadt sperren würde, wäre wohl "Feuer auf dem Dach". Aber die Kirche macht, was sie will.

Mi. 23/10/2024 8:33 Permalink
Norbert Kortus-Petz

Antwort auf von Maria Stachel

Ihr Artikel scheint ja so einige Dinge in der Neuzeit noch nicht berücksichtigt und wahrgenommen zu haben.
Zuerst, es gibt Bilanzen, die veröffentlicht werden von den Diözesen und auch von dem angesprochenen "Presseverein". Sie zu lesen würde zeigen, wo Kirchenbeiträge und andere Erlöse eingesetzt werden.
Was die Gebäude betrifft, so könnte man auch beim Bund nachfragen, wieviel Rendite altes und zu schützendes Gemäuer abwirft. Es wird sich eher in engen Grenzen halten.
Wenn jetzt kirchliche Organisationen schlecht wirtschaften würden, dann würde das Geschrei sehr groß sein. Wirtschaften sie gut, dann geht das nicht mit rechten Dingen zu. Also, was will der Artikel oben denn für eine Botschaft verbreiten?
Dass die Kirche nicht im luftleeren Raum handeln kann, das dürfte wohl außer Streit stehen, aber dass man Leistungen dieser Gemeinschaft (Caritas, ...) für die Gesellschaft einfach unter den Teppich kehrt, das scheint hier keine Silbe wert zu sein.
Die kritischen Fragen haben immer eine Berechtigung bei einer so großen Organisation, doch Kritik ist nicht per se gut und angebracht, wenn man alles Positive verschweigt. Nach diesem Artikel bleibt einfach der unangenehmer Nachgeschmack, dass es sich um einen Rundumschlag handelt, der wenig Platz lässt für eine offene Diskussion zu den angesprochenen Dingen.

Mi. 23/10/2024 14:26 Permalink
Wolfgang Oeggl

Antwort auf von Norbert Kortus-Petz

Sehr geehrter Herr Kortus-Petz,
aus Zeitmangel hat die Antwort leider lange auf sich warten müssen...
Mir ist durchaus bewusst, dass die Kirche viel Nützliches und Positives für das Gemeinwohl leistet und immer noch integrativer Bestandteil (für einen Teil). unserer Gesellschaft ist. Dass sie nicht "im luftleeren Raum" handelt, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Ist es aber nicht. Offizielle Bilanzierungen für Wirtschaftsunternehmen im Besitz der Kirche gibt es meines Wissens noch nicht länger als 10-15 Jahre. Bei kirchlichen Institutionen/Besitztümern sieht die Sache anders aus. Es ist klar, dass Klöster, Stifte oder Kirchen aufgrund der Erhaltungskosten nicht gewinnbringend sind, vielmehr geht es um den Besitz von Immobilien und Ländereien.
In meinem Artikel geht es nicht um einen Rundumschlag in blinder Wut gegen die Kirche, vielmehr darum, dass sich just jene Institution, die die Unterscheidung von "gut" und "böse" als moralischen Imperativ in die Welt gesetzt hat, selbst wie jeder andere Wirtschaftskonzern zwischen diesen Gegensätzen bewegt - dabei aber viele "im Dienste Gottes" Stehender immer noch daran glauben, auf moralisch höherer Ebene zu handeln und aus diesen Gründen und diesem erhabenen Standpunkt über andere zu urteilen und sie in die Schranken zu verweisen. Da aber niemand von vornherein als gut oder böse gelten kann, egal in wessen Diensten jemand steht, gibt es nur die mehr die zwischenmenschliche Erfahrung als moralische Instanz, die - wenn schon - eine Bewertung rechtfertigen kann.
Ausgangspunkt für meinen Text waren persönliche Erfahrungen von Menschen. Ich wollte keine Namen nennen. Nicht jene der Betroffenen und auch nicht jener, die sie betroffen machten. Ich bin aber jederzeit gesprächsbereit und diskussionswillig.

Mo. 04/11/2024 19:39 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+